Aktuelles
Digitalisierung in der Notaufnahme: ERPath Go-live im Jüdischen Krankenhaus Berlin
Mittwoch, der 29. Juni 2022, 8.59 Uhr: Die graue Meldung auf dem Bildschirm Nr. 14 im Flur der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Jüdischen Krankenhauses Berlin lautet “DANGER ZONE” und wechselt nach einem weiteren Bestätigungsklick zu “ERFOLG”: Ein Zeichen dafür, dass die Patienteninformationen auf der Test-Datenbank nun gelöscht sind und der Go-live des neuen Notaufnahmen-Informationssystems losgehen kann.
Die beiden eHealth-Tec Mitarbeiter Stefanie Möller und Andreas Ropertz begleiten den Launch der ERPath-Software vor Ort, ein weiterer Kollege ist remote zugeschaltet.
Eine Benutzeroberfläche in den ERPath-typischen Farben Orange und Weiß erscheint. “0 Patienten von 0” steht nun auf allen Bildschirmen der Notaufnahme – das Signal, dass die Software startklar ist. Ab sofort werden in dieser Ansicht alle relevanten Daten für die zeit- und qualitätsgerechte Patientenversorgung in der ZNA einfließen.
Das Notaufnahmen-Informationssystem von eHealth-Tec soll Pflegekräften und dem Ärztlichen Dienst helfen, die Patienten der ZNA stets beschwerdebildgerecht und leitlinienkonform zu versorgen, hierbei Zeit und Ressourcen für Dokumentation zu sparen und richtige Entscheidungen im stressigen Alltag zu treffen.
In den Räumen eines Lehrkrankenhauses der Berliner Charité im Jahr 2008 entwickelt, ist die webbasierte Software heute flächendeckend in Deutschland im Einsatz. In der Hauptstadt ist das Jüdische Krankenhaus Berlin die zweite Klinik, die an ERPath angeschlossen wird. Mithilfe der Software können alle Arbeitsschritte in der Notaufnahme von der Ersteinschätzung des Patienten bis zu seiner Entlassung oder stationären Aufnahme lückenlos dokumentiert werden und sind für alle in die Behandlung involvierten Personen jederzeit abrufbar. So wissen die Zuständigen stets, wer gerade mit welcher Aufgabe betraut ist und welche Maßnahmen im Rahmen der Behandlung bereits ergriffen wurden.
Die Mitarbeiter profitieren insbesondere von klinischen Behandlungspfaden
Bis der erste Patient vom Eintreten bis zur Entlassung die ERPath-geführten Prozesse durchläuft, wird noch eine Dreiviertelstunde vergehen – was für das Haus in Gesundbrunnen unweit der Osloer Straße an einem Mittwoch recht ungewöhnlich ist. Die Zahl der Patienten, die täglich in der Notaufnahme behandelt wird, variiert – an arbeitsreichen Tagen können es sechzig bis siebzig werden. Im Schnitt werden hier rund 22.000 Patienten pro Jahr versorgt.
Für die Notaufnahme des Jüdischen Krankenhauses Berlin ist die Implementierung des Notaufnahmen-Informationssystems ERPath ein Meilenstein der Digitalisierung. Insbesondere die in ERPath integrierten klinischen Behandlungspfade bringen für die Beschäftigten der Notaufnahme einen echten Mehrwert: Auf Basis der zuvor nach Manchester Triage System dokumentierten Beschwerdebilder und Dringlichkeitsstufen öffnet sich ein entsprechender Behandlungspfad, der das pflegerische und ärztliche Personal im Sinne einer SOP (Standard Operating Procedure) durch die komplette Behandlung führt. “Gerade Ärztinnen und Ärzte mit etwas weniger Erfahrung in der Notfallmedizin profitieren von den Behandlungspfaden, die durch wesentliche Schritte von der Anamnese über die Diagnostik und Medikation bis hin zur Therapieempfehlung führen”, kommentiert Dr. J. Reuter, Ärztlicher Leiter der Zentralen Notaufnahme am Jüdischen Krankenhaus Berlin.
Die ZNA des Jüdischen Krankenhauses nutzt beide in ERPath verfügbaren Optionen – standardisierte Basispfade, aber auch individuell konfigurierbare beschwerdebildorientierte Pfade. Diese haben Dr. Reuter und sein Kollege Dr. D. Vadász, Oberarzt in der Klinik für Neurologie, eigenständig entwickelt und warten jetzt gespannt auf den Einsatz. Gemeinsam mit den Pflegekräften der ZNA und weiteren Vertretern aus Medizin und Pflege haben die beiden die Inbetriebnahme von ERPath in den letzten Monaten detailliert vorbereitet, Prozesse beleuchtet, Dokumente gesichtet, beschwerdebildorientierte Pfade definiert und Textbausteine kreiert. “Wir finden es super, dass wir die Pfade entlang der gewohnten Prozesse in unserer Notaufnahme individuell gestalten konnten”, sagt der Neurologe. Die Praxis wird nun zeigen, ob es hier Anpassungsbedarf gibt – ein wesentlicher Vorteil von ERPath ist es, dass die Key-User Änderungen selbständig vornehmen können.
Die erste Triage mit ERPath
Um 9.49 Uhr kommt schließlich die Gelegenheit, den Algorithmus erstmals im Einsatz zu sehen. Die erste “ERPath-Patientin” ist selbst in die Notaufnahme gekommen und klagt über Bauchschmerzen. Frau Möller und die krankenhausinterne Projektleiterin stehen der Triagekraft zur Seite, die die Patientin aufnimmt und die Ersteinschätzung auf Basis des Manchester Triage Systems vornimmt. Die elektronische Gesundheitskarte wird zuerst wie immer im Krankenhausinformationssystem eingelesen. Anschließend – und das ist neu – werden die Daten nun mittels Schnittstelle automatisch in ERPath übertragen.
Die Triagekraft befragt die Patientin zu den Beschwerden, misst Temperatur, Blutdruck, Puls und trägt die Vitalparameter sowie den Covid-19-Impfstatus in ERPath ein. Dann folgen weitere Fragen an die Patientin: Wie stark sind die Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10? Gibt es Allergien, die zu berücksichtigen wären? Alle Informationen werden in die Triagemaske eingetragen, sodass sie im weiteren Behandlungsverlauf jederzeit zur Verfügung stehen. Nach Abschluss der Ersteinschätzung öffnet sich der ausgewählte Behandlungspfad: Die ärztliche und pflegerische Versorgung der Patientin kann beginnen. Hierzu wird die Patientin in eines der Behandlungszimmer gebracht. Ihr Dringlichkeitsstatus gemäß Triage und der Raum, in dem sie sich befindet, erscheinen nun im ERPath-Dashboard. Zugriff auf den Namen und die vollständige Historie erhalten die Beschäftigten nur nach persönlichem Login. Ansonsten werden die Patienten anonymisiert angezeigt.
ERPath erlaubt eine flexible Schnittstellen-Entwicklung
Das Jüdische Krankenhaus Berlin hat sich explizit dafür entschieden, die Beschäftigten in der Zentralen Notaufnahme mit digitalen Tools zu unterstützen. Die Klinik lässt die Digitalisierungsmaßnahmen, so auch die Einführung von ERPath, durch das KHZG fördern. Projektleiterin und Leiterin der Abteilung Unternehmensentwicklung und Organisation, J. Maaß, bereitet mit ihrem Team und der IT bereits die nächsten Schritte der Digitalisierung vor: Untersuchungen werden in Kürze überwiegend digital befundet, die klassische Kurvendokumentation auf Papier wird auch im stationären Bereich durch mobile Visite am PC abgelöst und ein Medikationsmanagementsystem im Anschluss eingeführt. Single-Sign-on-Lösungen sollen zudem künftig das Einloggen an den diversen Arbeitsplätzen und Systemen für alle User vereinfachen.
“Unser Vorteil ist, dass wir unabhängig bleiben und die Software frei konfigurierbar ist”, so Andreas Ropertz. Mittels interoperabler Schnittstellen hat das Entwicklerteam die Möglichkeit, die Software nahezu an alle Systeme anzuschließen.
“Ich bin sehr positiv überrascht, dass direkt nach dem Go-live so viel funktioniert – vor allem die Datenübermittlung vom Labor und Röntgen”, berichtet die pflegerische Leitung der ZNA, Schwester Daniela. Auch die intuitive Bedienung sei ein großer Vorteil: “Wir alle waren bei den vom ERPath-Team organisierten Schulungen im Vorfeld der Einführung dabei. Ich habe die Software aber schon deutlich öfter gesehen als meine Kolleginnen und Kollegen. Diejenigen, die das heute zum ersten Mal in der Praxis machen, finden sich gut zurecht.”
Am Nachmittag des 30. Juni wird schließlich die erste Bilanz gezogen: Der Go-live im Jüdischen Krankenhaus Berlin ist erfolgreich abgeschlossen, fast 100 Patienten unterschiedlichster Schweregrade wurden mit ERPath dokumentiert. Alle Beteiligten ziehen ein erfolgreiches Fazit der ersten beiden Tage. “Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen, die einen super Job gemacht haben”, sagt Dr. Reuter. In den kommenden zwei Wochen wird das ERPath Team remote bereit stehen, um bei Fragen oder Problemen weiter zu unterstützen und relevante Nachbesserungen umzusetzen. Und auch die ersten Erweiterungen stehen schon bevor: Bereits Mitte Juli wird das Zentrale Monitoring an ERPath angebunden, sodass alle erhobenen Vitalwerte automatisch ins System einfließen. Ab Ende Juli werden dann die digitalen Ultraschall- und EKG-Befunde in ERPath abrufbar sein – weitere wesentliche Meilensteine für die digitale Notaufnahme im Jüdischen Krankenhaus Berlin.
Die Umsetzung wurde kofinanziert von der Europäischen Union.